Tipps aus dem Rennsport für die Rennstrecke

  • Liebe Alle,


    wir Porsche-Piloten haben oft den Wunsch unseren Boliden auch auf einer Rennstrecke zu bewegen.

    Zwangsläufig stellen sich uns dann Fragen, die sich im normalen Alltagsverkehr kaum stellen würden.


    Hier sind einige davon, deren Beantwortung ich direkt mitliefere.


    Das Haftungspotenzial von Reifen - der Kammsche Kreis:


    Der Kammsche Reibkreis veranschaulicht uns das Haftungspotenzial unserer Reifen durch die grafische Darstellung der Kräfte die am Rad unseres Porsche entstehen.


    Die Seitenführungskraft in Querrichtung, die Bremskraft und die Antriebskraft in Längsrichtung. Durch höhere Radlasten erweitern wir das Haftungspotenzial unserer Reifen. Das Haftungspotenzial verringert sich durch geringe Reibwerte, bei Nässe, Schnee, Schlamm, Sand, Blätter oder sonstigen Verschmutzungen der Fahrbahn.


    Wenn wir unsere Reifen überstrapazieren, beginnt das Fahrzeug zu rutschen.


    Die wichtigste Aussage des kammschen Kreises ist die, dass die Längskraft und die Seitenführungskraft unmittelbar voneinander abhängen, und dass die aus diesen Einzel-Kräften resultierende Gesamtkraft die zur Verfügung stehende maximale Reibungskraft nicht überschreiten kann. Diese Erkenntnis ergibt das Kräfteparallelogram aus dem "Satz des Pythagoras".


    Bei Erhöhung der Längskraft in der Beschleunigungsphase und beim
    Abbremsen, steht uns weniger Seitenführungskraft zur Verfügung.


    Umgekehrt gilt, dass die maximale Beschleunigung und Verzögerung bei
    nicht spurgeführten Fahrzeugen nur bei der Geradeaus-Fahrt möglich ist.



    Achsgewichte und die dynamische Radlastverteilung:


    Als Radlasten in einem Automobil bezeichnet man die Kraft, die senkrecht zur Fahrbahn gemessen, auf die Räder und Reifen einwirken.


    Wenn wir unseren Porsche beschleunigen, abbremsen oder durch eine Kurve fahren, dann verändern sich die Radlasten durch diese Bewegungen ständig, man spricht dann von der dynamischen Radlast-Verteilung.


    Beim Bremsen, besonders beim starken Bremsen, findet eine Radlastverschiebung nach vorn statt, das Fahrzeug federt an der Vorderachse ein und an der Hinterachse aus, beim Beschleunigen ist es umgekehrt.


    Bei einer Vollbremsung auf gerade Ebene, kann man als Faustformel von einer Radlastverschiebung von 80% zu 20% ausgehen. Und genau das ist die Begründung, warum an den Vorderrädern die Bremsen deutlich größer sind als an den Hinterrädern.


    Auch der Verschleiß der Bremsbeläge und der Bremsscheiben liegt an den Vorderrädern, selbst bei heckgetriebenen Porsche 911 Fahrzeugen, in Relation zur Bremsfläche der Scheiben und Beläge, vorn bei ca. 70 - 80% und hinten bei ca. 20 - 30 %.



    Untersteuern, das Schieben über die Vorderräder:


    Wenn unser Porsche zu wenig Haftung an der Vorderachse hat und dadurch weniger in die Kurve einlenkt, als es am Lenkrad vorgeben wird, dann untersteuert er und schiebt über die Vorderräder in die Kurve.


    Am Lenkrad spüren wir das Untersteuern durch einen reduzierten Lenkwiderstand und durch eine weniger präzise Lenkung.


    Untersteuert unser Fahrzeug bei flottem Fahren durch die Kurve, können wir durch leichtes Bremsen bzw. Lupfen des Gaspedals dem Untersteuern entgegenwirken.


    Wenn wir abschließend kontrolliert und nicht zu früh aus der Kurve heraus beschleunigen, dann können wir die gesamte Kurve sauber durchfahren und so unsere Rundenzeiten verbessern.


    Wir stellen unsere Rennwagen grundsätzlich so ein, dass wir ein marginales Untersteuern produzieren, deshalb, weil wir so die maximale Kurvengeschwndigkeit generieren können ohne dabei Angst haben zu müssen aus der Kurve herausgeschleudert zu werden.



    Übersteuern, das ungewünschte Heckschleudern:


    Ein übersteuerndes Fahrzeug, dazu neigt z.B. der Porsche 911, hat zu wenig Haftung an der Hinterachse und lenkt dadurch mehr in die Kurve ein als es der Fahrer am Lenkrad vorgibt.


    Dies kann im Grenzfall zu einer Drehung des Fahrzeugs und zum Einschlagen in die Leitplanken oder zu schlimmeren Auswirkungen führen.


    Die häufigsten Ursachen für ein übersteuerndes Fahrzeug sind zu starkes Bremsen beim Einlenken in die Kurve, abrupte Gaswegnahme in der Kurve oder ein unruhiges und zu starkes Einlenken.


    Bei Fahrzeugen mit Heckantrieb und Motor und Getriebe auf der Hinterachse, wie z.B. beim Porsche 911, kann zudem durch starkes Beschleunigen am Kurvenscheitelpunkt und Kurvenausgang ein deutliches Übersteuern auftreten.


    Die Kontrolle eines übersteuernden Fahrzeugs erfordert neben der notwendigen Erfahrung ein exzellentes Reaktionsvermögen und sollte seitens der davon ausgehenden Gefahr keinesfalls unterschätzt werden.


    Porsche hat zur Kompensation des Übersteuern eine spezielle Vorderachs-Geometrie und dazu noch spezielle N Reifen entwickelt.

    Hier finden Sie ein paar Zeilen dazu.



    Optimal zu Bremsen, das ist die Kunst der richtigen Dosierung:


    Während des Bremsens und des daraus resultierenden Verzögerungsvorgangs können wir auf Rennstrecken viel Zeit gewinnen, wenn wir den Bremsvorgang richtig und sauber ausführen.


    Unser Ziel ist es hierbei, das uns zur Verfügung stehende Haftungspotential der Reifen während des gesamten Bremsvorgangs voll auszunutzen.


    Der Wechsel zwischen Gas- und Bremspedal sollte aus diesem Grund möglichst kurz sein. Anschließend leiten wir mit der richtigen Intensität den Bremsvorgang ein.


    Gegen Ende reduzieren wir den Bremsdruck leicht, um die Tendenz zum Untersteuern beim Einlenken in die Kurve zu reduzieren. Optimieren können wir den Bremsvorgang, in dem wir die Referenzpunkte an der Strecke nutzen, um uns so langsam und kontrolliert an den richtigen Bremspunkt und unsere Ideallinie für die anstehende Kurve heranzutasten.


    Zuerst bringen wir in einer "Aufwärmrunde" die Bremse auf die optimale Betriebstemperatur und erst dann rufen wir die maximale Verzögerungsleistung unser Bremsen ab. Bei schlechten Streckenbedingungen sind wir besonders vorsichtig und fahren minimal 2 Proberunden, um so die Bremsen und Reifen auf die richtige Betriebstemperatur zu bringen.



    Was ist die richtige Ideallinie durch die Kurve?


    Ein auf Rennstrecken und an Biertischen immer wieder heiß diskutiertes Thema lautet:
    Was ist die richtige Ideallinie durch die Kurve und wer befindet sich wann und wo auf der Ideallinie und wer hat dort Vorfahrt?


    Immer wieder, speziell bei meinem letzten Rennen, kam es zu hitzigen Diskussionen wer sich wann und wo und wie falsch verhalten hat:



    Fakt ist, dass eine Ideallinie immer eine "gedachte Linie" ist, die auf einer Rennstrecke den schnellstmöglichen Weg durch eine Kurve beschreibt und keine Vorfahrtsstraße für Rennfahrer, aus der man anschließend Vorfahrts-Ansprüche geltend machen kann.


    Dieser schnellstmögliche Weg ist unterschiedlich für verschiedene Fahrzeuge, Fahrer und deren Fahrstile. Auch unterschiedliche Abstimmungen (Setups) individuell abgestimmter Rennwagen bedingen unterschiedliche schnellste Linien auf Rennstrecken.


    Daher gibt es nach meiner Meinung für keine Rennstrecke weltweit eine allgemein gültige Ideallinie, die für jedes Fahrzeug, jeden Fahrer und für jede Witterung und Fahrbahnbeschaffenheit gelten würde und aus der man analog dazu Ansprüche auf "Vorfahrt" ableiten kann.


    Die Ideallinie ist nur selten der kürzeste Weg durch eine Kurve. Die Strategie der schnellsten Linie ist eher die, den Kurvenradius zu vergrößern und möglichst früh wieder aus der Kurve heraus zu beschleunigen um so die optimale Zeit bei bestmöglicher Haftung heraus zu fahren.


    Kurven auf Rennstrecken werden von den meisten Fahrern außen angebremst, spät eingelenkt, und am Scheitelpunkt (Apex) innen angefahren und dann über die gesamte Fahrbahnbreite genutzt, um das Fahrzeug unter Beschleunigung anschließend wieder heraustragen zu lassen.


    Im Zweikampf wählt der Vordermann, statt der für ihn schnelleren Ideallinie,
    zur Verteidigung seiner Position meist die den Verfolgenden blockierende Kampflinie.


    Das Befahren dieser Kampflinie ist langsamer als die Ideallinie, sie blockiert den günstigsten Weg für ein Überholmanöver des Konkurrenten, bewahrt aber dem Vorausfahrenden seine eigene Führungsposition.


    Der schnellere, dicht auffahrende Hintermann hat durch seinen Geschwindigkeitsüberschuss die Möglichkeit, den Vordermann neben der Ideallinie – in der Regel auf der Innenseite zur anstehenden Kurve – zu überholen. Um dies zu verhindern, weicht der Vordermann vor einer Kurve von seiner Ideallinie ab und fährt die Kurve weiter innen, um seinem Konkurrenten auf der Kurveninnenseite keinen Raum zu lassen und ihn so quasi abzuschneiden.


    Daher passieren genau im Scheitelpunkt der Kurven ( Apex ) sehr häufig Unfälle, wie auch bei mir beim letzten Rennen.

    Ein Überholversuch auf der Außenlinie führt bei gleich schnellen Fahrzeugen nur selten zum Erfolg, da dort die Wegstrecke länger ist.


    Weil das Befahren der Kampflinie langsamer ist als das Fahren auf der Ideallinie, verliert im Zweikampf auch der Vordermann an Zeit.


    Die Kampflinie wird vom Vordermann immer dann gefahren, wenn der Verfolger ein Überholmanöver vorbereitet. Für den ersten in einem Rennen ist der Zeitverlust relativ unerheblich, so lange der Zweite und die folgenden Fahrzeuge nicht an ihm vorbei kommen.


    Positionskämpfe um hintere Plätze führen häufig dazu, dass weiter hinten fahrende Piloten plötzlich beide miteinander kämpfenden Fahrzeuge gleichzeitig überholen können und so an den Zweikämpfen der vorausfahrenden Kontrahenten partizipieren und ihre Positionen verbessern.


    Aber weiter im Thema ... wie fahren wir?


    Auf der Ideallinie oder der Zeitoptimalen Linie durch die Kurve?


    Bei der zeitoptimalen Linie wird erst sehr spät gebremst, wodurch die Rollphase in der Kurve deutlich reduziert wird.


    Der Bremsvorgang wird dabei bis tief in die in die Kurve hinein verlängert, anschließend wird unmittelbar wieder beschleunigt.


    Diese Linie sollte nur von fortgeschrittenen Fahrern mit guten Strecken- und Fahrzeugkenntnissen gewählt werden und hängt vom Fahrzeug, von der Leistung und vom Zustand der Reifen ab.





    Kombinierte Kurvenlinie:


    Bei der Linienwahl in kombinierten Kurven achten wir darauf, dass wir uns stets gut auch für die folgenden Kurve positionieren.


    In manchen Kurvensektionen achten wir darauf, dass wir die letzte Kurve möglichst schnell durchfahren, damit wir eine höhere Endgeschwindigkeit auf der Geraden erreichen können.


    Und nun haben wir noch nicht über Reifendrücke, Stabilisatoreinstellungen, Zug- und Druckstufeneinstellungen von Stoßdämpfern und vielen weiteren Punkten gesprochen, auf die ich gern bei anderer Gelegenheit eingehen werde.



    Liebe Grüße

    Jürgen Albert

    Kfz.-Meister



    ** Bilder: PorscheAPP
    ** WIKIPEDIA

    ** Text: Jürgen Albert



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